Rezension: Doomed Forgotten Realms – Wenn Helden scheitern

Die Vergessenen Reiche (englisch Forgotten Realms) für D&D sind eine der bekanntesten Rollenspielwelten. Inzwischen sind mehrere Kampagnen – mehrteilige Abenteuerfolgen – für de 5. Edition erschienen, in denen Spieler mit ihren Charakteren die Welt vor deren Untergang retten. Bzw. die Schwertküste, den nordwestlichen Teil des Kontinents Faerûn. Doch was wäre, wenn keiner der Bösewichte durch Helden aufgehalten wird? Wenn die Widersacher es schaffen, ihre Pläne umzusetzen?

Eine mögliche Antwort auf die Frage liefert das schmale Heft Doomed Forgotten Realms. Ob sich ein Blick in dieses inoffizielle Gedankenspiel lohnt, lest ihr jetzt.


Doomed Forgotten Realms: Sword Coast Gazetteer

Verlag: Quill & Cauldron

Sprache: Englisch

Seitenzahl: 74

Preis: 8,99 $ (nur als eBook)


So sehen die Vergessenen Reiche aus, wenn die Bösewichte ihre Ziele erreichen.


Der Untergang in Bildern

Vecna, der wohl böseste und mächtigste Leichnam (untoter Zauberer) ist als geisterhaftes Abbild über der Weltkugel von Abeir-Toril (der Welt der Vergessenen Reiche) zu sehen. Die von diversen Katastrophen verheerte Schwertküste liegt unter ihm auf dem Globus. Das Cover verweist direkt auf den Inhalt, auch wenn die Proportionen der Region auf dem Globus wohl nicht passen. Der Mond über der Welt zeigt ein Knochengesicht.

Die Bilder im Buch selbst sind ebenfalls farbig. Alle paar Seiten findet sich eine Illustration. Der Stil sieht nach stark computergenerierten oder zumindest stark bearbeiteten Grafiken aus. Er kommt damit nicht an das Niveau der offiziellen 5e-Bände heran, ist aber trotzdem noch gut. Die Karte der veränderten Schwertküste sieht aus, als sei sie in einem Editor für Heroes of Might and Magic oder einem ähnlichen Spiel gebaut worden.

Die Texte sind okay. Der bekannte Charakter Volo kommentiert die Beschreibungen mit Ironie. Die Texte sind zudem übersichtlich unterteilt und die Seitenzahlen im PDF verlinkt. Das einseitige Inhaltsverzeichnis ist für die Seitenzahl ausreichend.

Vier Überlebenden gefällt die Aufmachung, der Fünfte vermisst den Stil der offiziellen 5e-Bände.


Eine Geschichte vom Anfang vom Ende

Wie schon erwähnt verfolgen die Autoren den Ansatz, eine Schwertküste darzustellen, in der die großen Kampagnen für der 5. Edition nicht gut ausgegangen sind. Berücksichtigt sind jene Werke, die bisher veröffentlicht wurden und zumindest in großen Teilen in der Region spielen. Der Band enthält daher Spoiler für Werke wie Abstieg nach Avernus. Das Setting setzt gar nicht so lange nach dem Ende der letzten Kampagne an, was es für mich etwas schwierig erscheinen lässt, wie in dieser Zeit u.a. neue Unterklassen von den Bewohnern der Schwertküste entwickelt werden konnten. Aber hier ist jede Gruppe frei, ihren Startzeitpunkt in ein späteres Jahr zu verschieben. Ein festes Ende für die Schwertküste gibt es übrigens nicht.

Die Schwertküste sieht nach mehreren Katastrophen sehr verändert aus.

Die zahlreichen Katastrophen haben das Land zwischen Amn im Süden und dem ewigen Eis im Norden schwer in Mitleidenschaft gezogen. Das Eiswindtal ist in einem endlosen Winter gefangen, der die Gegend noch lebensfeindlicher als vorher macht. Niewinter wurde durch sein dunkles Gegenstück von der Schattenebene ersetzt. Zwischen den düsteren Bauwerken streifen daher hauptsächlich Ghule, Vampire und andere Untote umher.

Wo mal Baldurs Tor Reisenden Zuflucht und Kontakte bot, liegt jetzt ein riesiger Krater mit Zugang zum Unterreich. Letzteres haben Dämonen überrannt, die versuchen, durch den Krater die Oberwelt zu verwüsten. Daher hat Zariel, ein Befehlshaber der Teufel, sein Hauptquartier dorthin verlegt. Seither tobt ein ewiger Kampf zwischen seinen Truppen und den Ausgeburten des jenseitigen Abgrunds, dem die Dämonen entstammen, an der Stelle.

Tiefwasser wurde von Vecna übernommen. Der umtriebige Untote versucht von dort aus seinen Einfluss zu mehren. Die Zhentarim haben sich ebenfalls dort ausgebreitet. Zwischen beiden Fraktionen herrscht ein brüchiger Frieden. Auch Tiamat, die fünfköpfige Göttin der bösen Drachen, ist an die Schwertküste zurückgekehrt. Drachenkultisten verehren sie und ihr Gefolge. Der große Wald im Norden des Landes wurde von bösen Elementarfürsten mit der ungebändigten Kraft der Erde, des Feuers, der Luft und des Wassers zerstört. Dort liegen jetzt stattdessen vier Zonen der Elemente.

Besonders dramatisch ist, dass Leute nach ihrem Tot und ihrer Rückkehr von den Toten als Normalsterbliche langsam ihre Lebenskraft verlieren. Damit fällt eine wichtige Stütze für Helden weg. Auch die Tatsache, dass die (guten) Götter keine Gebete mehr beantworten, sorgt für Verzweiflung in der Welt. Grund dafür ist, dass ein Bösewicht deren Verbindung zur Welt gekappt hat. Das diese Götter nicht massiv dagegen angehen, erscheint mir zweifelhaft, mag aber in den Tiefen der Vergessenen Reiche irgendwo den Regeln für Götter entsprechen.

Die Autoren haben sich offenbar jede der offiziellen Kampagnen angeschaut und berücksichtigt, soweit ich es sagen kann. Nicht jeder Ort der Schwertküste wird dabei berücksichtigt. Beregost fehlt beispielsweise. Außerdem beschränkt sich die Beschreibung auf die Schwertküste (und Chult). In wieweit andere Regionen der Welt durch die Ereignisse ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen wurden obliegt daher jeder Spielrunde selbst. Ein paar Anmerkungen wären aber schön gewesen als Richtschnur.

Das Unterreich wurde durch die Invasion von Dämonen noch gefährlicher.

Durch die verschiedenen Katastrophen und Akteure entstanden Landstriche, in denen ganz unterschiedliche Herausforderungen auf die Spieler und ihre Charaktere warten. Thematisch bedingt sind die meist wüst und lebensfeindlich. Das Setting zieht einen großen Teil seiner Faszination aus der Veränderung des Landes. Wer nicht mit der klassischen Schwertküste vertraut ist wird daher nur einen Teil davon nachvollziehen können. Das gilt ebenso für die Orte. Die werden nur soweit beschrieben, wie sie verändert wurden. Wer tiefer in die Orte einsteigen will, braucht also entsprechendes Vorwissen, z.B. zu jenen Statuen, die in Tiefwasser gegen Eindringlinge eingesetzt werden können und Vecna jetzt als Stütze seiner Macht dienen.

Wieder mögen vier Überlebende die Beschreibung.


Fast nur böse Leute

In dieser Welt streiten sich verschiedene, meist böse Organisationen um die Stücke, die vom Kuchen der Schwertküste noch übrig sind. Die Zhentarim gehören dazu und sorgen in den größeren Orten dafür, dass die Leute nicht gegen Vecna rebellieren. Vecna hat seine Verbündeten wiederum in einer Allianz um sich versammelt. Die Drachenkultisten und bösen Drachen sind wegen der Feindschaft des Leichnams und Tiamat deren natürliche Gegenspieler. Die Kultisten des älteren elementaren Auges und ihre Herren wiederum werden von Vecna insofern kontrolliert, als das er deren vermeintlichen Schöpfer gefangen hält. Zariels Legion kämpft gegen die Horden der Dämonen aus dem Unterreich, andere Belange sind für ihre Anführerin zweitrangig. Einer guten Fraktion am nächsten kommt die Piratenflotte Bregan D’Aerthe.

Böse Drachen und ihre Kultisten sind im Setting weit verbreitet.

Bei jeder Fraktion wird aufgeführt, wie der Beitritt erfolgen kann und welche Boni sie bieten, wer sie anführt, was ihre Ziele und Ränge in ihrer Hierarchie sind. Die klassischen guten Organisationen, die vorher gegen böse Mächte antraten, wurden vernichtet. So ist das Bündnis der lokalen Adligen nicht mehr existent.

Das Fehlen einer neuen, wirklich guten oder neutralen Organisation schränkt die Wahlmöglichkeiten ein. Die Harfner arbeiten zwar an ihrem Wiederaufbau, stehen dabei aber am Anfang. Dafür gibt es Anmerkungen, welche Aufgaben die Helden bei welchen Charakterstufen und in welchen Gegenden angehen können. Wie vom System gewohnt wird der Maßstab dabei alle paar Stufen größer.

Helden sind angesichts der Umstände schwieriger zu spielen, und die epischen Gegner stellen auf hohen Stufen große Herausforderungen dar. Wer seinen Spielern Möglichkeiten geben will, gegen sie vorzugehen, sollte gutes Wissen haben, wie z.B. Tiamat wieder in die Hölle verbannt werden kann. Das kann Abenteuer auf höheren Stufen zu einem größeren Rechercheaufwand machen.

Zwei Überlebende vermissen nicht böse Fraktionen, drei verbleiben.


Antihelden mit neuen Fähigkeiten

Neue Völker sind nicht enthalten. Es gibt Anmerkungen, wie die bekannten Hintergründe in diesem Setting ausgeprägt sind. Neben den üblichen Klassen und deren Unterklassen bietet das Heft die Möglichkeit, fünf neue Unterklassen auf Abenteuer oder ins Überleben im apokalyptischen Setting zu schicken.

Für Barden gibt es das Kolleg der Elemente, um die Macht der entfesselten, ungezähmten vier Elemente einzusetzen. Die besonderen Fähigkeiten bieten am Anfang ein paar nette Boni, wie Feuerschaden in Höhe der Stufe, den Gegner des Barden erleiden, oder plus zwei auf die Rüstungsklasse des Barden.

Leider fallen die späteren Fertigkeiten etwas schwach aus, wie eine Feuersäule, die Feinden bei Kontakt Schaden in Höhe des Inspirationswürfels des Barden zufügt. Der reicht vom W8 bis zum W12. Auf der betreffenden Stufe 6 können andere Klassen u.a. Blitze hervorrufen, die deutlich mehr schaden anrichten, ihre Fernkampfmunition mit extra Blitzschaden aufladen oder schon mit einer Flammenkugel (Zaubergrad 2) 2W6 Schaden bei Kreaturen anrichten, die mit der Kugel in Kontakt kommen. Die Möglichkeit, Gegner per Luft hochzuhieven und mehrere Meter zu Boden fallen zu lassen, ist etwas nützlicher, aber auch stark vom Inspirationswürfel abhängig.

Drei der fünf neuen Unterklassen (v.l.): Ein Druide vom Zirkel der Neun, ein Kämpfer der Besten von Zhentilar und ein Zaubermörder-Schurke.

Der Druidenzirkel der Neun (Höllen von Baator) beschwört die Macht der oft teuflisch veränderten Umgebung gegen Feinde. Dadurch kann ein Druide u.a. einer Kreatur, der er Schaden zugefügt hat, Extraschaden als Bonusaktion zufügen, feindliche Attacken mit einem Nachteil belegen oder mit Tentakeln und ähnlich abgedrehten Sachen Gegner an einer Stelle festhalten. Und das schon ab Stufe zwei.

Später kann er mit einer Kreatur einen Deal machen, der deren Freiheit gegen zeitweisen Dienst für den Druiden beinhaltet. Das Ziel wird dadurch verzaubert und ist dem Druiden wohlgesonnen. Lehnt es ab, kann es immer noch bis zum Ende seiner Runde betäubt werden.

Kämpfer der Besten von Zhentilar haben das Kämpfen nach den Regeln der Zhentarim gelernt. Sie können Gegner mit Angst erfüllen, wenn sie ihnen Schaden zufügen. Schaden zu verursachen ist für sie daher sehr wichtig. Zaubermörder (Spell Slayer) sind Schurken (Diebe), die sich auf den Kampf gegen Magier spezialisiert haben. Sie können u.a. deren Konzentration auf Zauber besser stören oder später sogar Zauber „stehlen“.

Magier lernen die neue Schule der Geheimnisse, um ihren Widersachern deren Geheimnisse zu entlocken und gegen sie zu nutzen. So erfahren sie deren schwächste Eigenschaften und Verwundbarkeiten, können Lügen besser erkennen und Zaubern widerstehen, die sie dazu bringen sollen, die Wahrheit zu sagen.

Abgesehen vom Barden machen die Unterklassen für mich einen guten Eindruck. Ihre Fähigkeiten sind nützlich, wenn auch beim Krieger sehr auf das Kämpfen beschränkt.

Vier der Unterklassen machen vier Überlebende neugierig.


Fazit

Wer auf der Suche nach einem apokalyptischem Setting ist oder mal wissen will, die die Schwertküste aussähe, wenn keine Helden große Katastrophen verhindern, bekommt in dem Buch einen handlichen Überblick. Die bekanntesten und wichtigsten Orte der Schwertküste sind abgedeckt, die Widersacher unterschiedlich und die neuen Unterklassen größtenteils interessant und spielbar. Eine gute neue Fraktion fehlt leider. Auch die Einbindung der übrigen Welt bleibt offen und so Spielgruppen bzw. Spielleitern überlassen.

Am Schluss treffen sich 15 von 20 Überlebenden am Lagerfeuer und schmieden Pläne, um der Schwertküste wieder etwas mehr Ordnung zu bringen – oder wie sie einfach selbst reich und mächtig werden.

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