Rezension: Fragged Empire Grundregelwerk

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Cover und Illus sind gut gelungen.

Letztes Jahr konnte Ulisses nach einem erfolgreichen Kickstarter seine Produktpalette um die deutsche Version dieses jungen, englischen Systems erweitern. Wieso es als „Post-postapokalypse“ bezeichnet wird und was das fertige Produkt für Tücken birgt, erfahrt ihr jetzt.

Fragged Empire Grundregelwerk

Seiten: 384, darunter zwei für das Inhaltsverzeichnis und zweinhalbseitiger Index

Preis: 49,95 Euro (gedruckt), 19,99 Euro (E-Book)

 

Cover und Illus

Die Frontseite zeigt vier Charaktere der spielbaren Spezies, allesamt keine Menschen, aber humanoide Gestalten. Sie tragen futuristisch angehauchte Waffen mit Lichtern, während eine Drohne neben ihnen herfliegt. Im Hintergrund liegen überwucherte Ruinen einer modernen Stadt. Das Motiv und seine enge Verbindung zum Hintergrund gefallen mir gut. Beim genaueren Hinsehen fällt allerdings auf, dass die beiden hinteren Charaktere im Gesicht und an einer Hand Details vermissen lassen. Trägt einer davon einen glühenden Stumpen am Arm?

Der Innenteil ist vollfarbig gehalten und der Bilderstil hochwertig. Es gibt auch angenehm viele Illustrationen, zum Beispiel für Items. Einige sind aber etwas verwaschen, was für meinen Geschmack die Qualität schmälert.

Trotz kleiner Schwächen reicht es für 4 Sterne.

 

Aufbau

Das zweiseitige Inhaltsverzeichnis ist angesichts der fast 400 Seiten angebracht, vielleicht

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Das Artwork ist den Texten weit überlegen.

stellenweise sogar zu wenig. Dasselbe ist über den zweieinhalb seitigen Index zu sagen. Ein Glossar fehlt leider, ebenso Seitenreiter bei den einzelnen Kapiteln. Zwar sind die Ränder in jedem Kapitel in einer anderen Farbe gehalten, aber das stellt für mich nur einen teilweisen Ersatz dar. Kleine schwarze Kästen enthalten kurze Ingame-Berichte oder Geschichten. Weniger hervor springen ihre Gegenstücke in hellblau, die Beispiele für Regel-Anwendungen in konkreten Situationen beschreiben. Zudem sind die einzelnen Überschriftgrößen nicht so klar voneinander zu unterscheiden. Manches Mal stolperte ich beim Lesen über ein neues Kapitel.

Nicht gerade hilfreich ist die englische Sprache, die nicht besonders klar formuliert. Und zudem manches Mal gar nicht das aussagt, was sie aussagen sollte, um einen klaren Überblick zu liefern. Bedauerlicherweise ist die deutsche Übersetzung hier nicht besser, sondern sorgt ebenfalls oft für Verwirrung. Die vielen Verweise schlagen in dieselbe Kerbe, sodass hier ganz klar ein große Schwäche liegt.

Wegen mangelnder Übersicht bleiben 3 Sterne.

 

Regeln

Proben werden mit 3W6 abgehandelt. Wenn das Ergebnis die Schwierigkeit erreicht oder übertrifft, gelingt der Wurf. Dabei spielen neben situationsabhängigen Modifikatoren vor allem zwei Werte eine Rolle: Fertigkeiten und Eigenschaften. Fertigkeiten geben, so ein Charakter darin geübt ist, einen Bonus von eins. Ungeübte schlagen dagegen mit einem Malus von zwei zu Buche. Eigenschaften verleihen bestimmte Boni. So geben Reaktions-Implantate plus eins auf Heimlichkeit, bestimmte Kampffertigkeiten und plus zwei auf die Initiative. Da jeder Charakter zu Beginn mit nur einer Eigenschaft auskommen muss, will die Wahl wohl überlegt sein.

Ob diese Eigenschaften einen ausreichenden Ersatz für nicht vorhandene, höhere Fertigkeitswerte liefern, sei dahin gestellt. Für die Attribute dürfen 18 Punkte verteilt werden, wobei die Werte von null bis fünf gehen. Viele Eigenschaften verlangen bestimmte Mindestwerte. Außerdem haben Attribute Einfluss auf verschiedene Werte.

Einer davon ist die Ausdauer. Ist die auf null oder werden genug Sechsen gewürfelt, entstehen kritische Treffer. Diese gehen zu Lasten eines zufälligen Attributs. NPCs sind tot, sobald eines davon auf null sinkt. SCs können bis minus fünf gehen. Durch die Zufalls-Komponente bei der Wahl, welches Attribut getroffen wird, ist es oft schwierig, Gegner gezielt auszuschalten. Das bringt eine starke Zufallskomponente in die Kämpfe. Spieler, die Zufall weniger mögen, könnten sich daran stören. Ebenfalls gewöhnungsbedürftig sind die hohen Abzüge für Fernkampf. Pistolen und Co. Haben eine Reichweite, die in Kästchen auf Spielplänen gemessen wird. Sie reichen von eins bis sechs, mit Modifikationen auch mehr. Für jede Verdopplung der Reichweite steigt die Schwierigkeit um zwei. Da Charaktere ähnliche Bewegungsweiten jede Runde haben, sollte zumindest ein Gruppenmitglied auch Nahkampf beherrschen, weil Gegner so schnell in Nahkampf-Weite gelangen können. Weitere Werte sind der eigene Wohlstand und Einfluss. Wohlstand definiert das Wissen um den Umgang mit Geld, während Einfluss die Höchstkosten getragener Ausrüstung begrenzt. Wie gut ein Charakter diese mit Nachschub versorgen kann, bestimmen seine Ressourcen.

Einfluss ist wichtig, um das eigene Raumschiff zu unterhalten. Das Setting spielt so weit in der Zukunft, dass Autos oder Fahrräder keine hilfreiche Alternative bieten. Vom Jäger bis zum gewaltigen Schlachtschiff reicht die Palette futuristischer Fortbewegungsmittel, wobei die meisten Gruppen sich zu Beginn nur mittlere Größen leisten können. Raumschiffe dürfen, wie Waffen, mit zahlreichen Modifikationen angepasst werden. So sind Schiffe machbar, die auch als U-Boote unter Wasser funktionieren.

Leider wird die Verständlichkeit durch die mangelnde Übersicht erschwert. Außerdem sind die Regeln nicht unbedingt ausbalanciert. So umgeht Flächenschaden die Erschwernis durch Reichweite. Ärgerlich sind zudem gewisse Fehler, wie die ursprünglich falsch generierten Archetypen im Schnellstarter.

Nach meinem Eindruck sind 3 Sterne angemessen.

 

Hintergrund

Etwa 10.000 Jahre in der Zukunft ist die Menschheit ausgestorben. Die von ihnen erschaffenen Archonten strebten nicht nach technischen Erkenntnissen, sondern biologischer Perfektion. Dafür erschufen sie unzählige Spezies. Schließlich erschufen sie die X’ion, die sie jedoch nach einem Streit bis auf einen vernichteten. Dieser letzte seiner Art entkam, züchtete sich selbst eine Armee und vernichtete die Archonten. Dann verschwand er. Inzwischen ist ein Jahrhundert vergangen, und die Überlebenden versuchen, nach der zweiten Apokalypse wieder ihre Zivilisation aufzubauen. Ein Sonnensystem wird in groben Zügen beschrieben, andere bleiben weiße Flecken. So kann der Spielleiter seiner Kreativität sehr freien Lauf lassen.

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Viele Kalthoraner haben ihren Sehsinn verloren, da sie ein Jahrhundert im Untergrund zugebracht haben.

Vier Spezies stehen zur Auswahl. Mit den elfenähnlichen Kalthoranern, die nach dem Krieg zeitweilig zu Kannibalen wurden, den spartanisch-kriegerischen Legionären, der auf Profit ausgerichteten Corporation und den von X’ion zurückgelassenen, biologische und lebende Waffen nutzenden Nephilim werden dabei gängige Typen abgebildet. Zudem hat jede Spezies drei kulturelle Varianten, bei der Legion zum Beispiel die im Exil hausenden Exilia oder Nomaden, die ihre Eiswelt durchstreifen. Diese stellen Ideen dar, um einen Charakter zu definieren. Psionik gibt es zwar, spielt aber nur eine kleine Rolle.

Mir persönlich fehlt es ein wenig an Tiefe, Abwechslung und Überraschungsmomenten, weshalb das Setting meinen Geschmack nicht ganz trifft. Das mag sich aber mit weiteren Produkten ändern. Mir gibt es auch zu wenig Anregungen für Abenteuer. Immerhin liegen vier kurze Abenteuer-Ideen bei, die aber kaum ausgearbeitet sind. Der Spielleiter sollte eine kreative Ader haben, um sich selbst Abenteuer auszudenken. Oder auf die Kaufabenteuer ausweichen, die nach und nach ins Deutsche übersetzt werden. Ein Ausmaß wie bei Pathfinder oder DSA ist aber nicht zu erwarten.

Dafür gibt es 3 Sterne.

 

Fazit

Ist der Hintergrund spannend? Ja, wenn auch nicht so sehr. Sind die Regeln gut? Es geht, sobald man die mangelnde Übersicht überwunden hat. Letztendlich hätte das Buch mit etwas mehr Struktur ein ganzes Stück besser ausfallen können. Wer sich nicht sicher ist, sollte erst den neuen Schnellstarter spielen. (Weitere Hilfen wie Karten gibt es hier.) Und sich dann darauf einstellen, dass Fragged Empire einiges an Eigenarbeit zum Verstehen voraussetzt.

Insgesamt steht die Wertung bei 13 von 20 Sternen.

2 Kommentare zu „Rezension: Fragged Empire Grundregelwerk

  1. Hier noch mal ein paar Anmerkungen:

    Einige sind aber etwas verwaschen, was die Qualität schmälert.
    –> Das kann man Monet auch vorwerfen. Ist der Stil, nicht der Druck. 🙂

    Kleine schwarze Kästen enthalten kurze Ingame-Berichte
    –> Auch, aber mehrheitlich wichtige und zusammenfassende Informationen.

    die englische Sprache, die nicht besonders klar formuliert.
    –> das verstehe ich leider nicht ganz.

    vor allem zwei Werte draufgeschlagen: Fertigkeiten und Eigenschaften.
    –> Eigenschaften wirken nie als solche auf eine Probe.

    wobei die Werte von eins bis fünf gehen.
    –> Falsch, ist wäre 0 bis 5 bei Charaktererstellung.

    ist es nicht ganz einfach, Gegner gezielt auszuschalten.
    –> Stimmt nicht.

    Reichweite, … Sie reichen von eins bis fünf.
    –> das ist schlicht falsch.

    Da Charaktere ähnliche Bewegungsweiten jede Runde haben, sollte zumindest ein Gruppenmitglied auch Nahkampf beherrschen.
    –> falsch und was hat das mit Nahkampf zu tun?

    Auch der eigene Wohlstand und Einfluss zählen zu den Fertigkeiten.
    –> Falsch

    Sie steigen, wenn sie gesteigert werden, und nicht durch gefundene Beute.
    –> Auch nicht ganz korrekt, die müssen schon erspielt werden.

    wobei die meisten Gruppen sich nur mittlere Größen leisten können.
    –> Stimmt auch nicht, das stimmt bestenfalls ganz am Anfang.

    Zudem hat jede Spezies drei kulturelle Varianten
    –> Das sind Ideen, keine festen Varianten

    Viele Kalthoraner besitzen keine Augen
    –> Doch, doch. Augen haben die schon 🙂

    Auch wären Anregungen für Aufgaben nicht schlecht gewesen.
    –> Das Buch enthält 4 One-Pager und bei jedem Gegner, Planeten,… entsprechende Hooks

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